Brevet 600 km ARA Hamburg 13.06.2009
Verfasst: Mi Jun 24, 2009 22:28
Für dieses Frühjahr hatte ich mir die Marathonserie der Audax Randonneurs Allemagne (ARA) vorgenommen. Wer die Strecken von 200, 300, 400, 600 km jeweils in einer Fahrt und einem bestimmten Zeitfenster zurücklegt, darf sich danach Super-Randonneur nennen, was einfach nur Super-Wanderer heißt, aber das zählt auch schon was, jedenfalls unter Eingeweihten. In Deutschland lässt sich von 12 verschiedenen Orten aus starten, aber warum in die Ferne schweifen, wenn auch Kiel einen Stützpunkt hat, von wo aus attraktive Strecken durch die schönsten Gegenden des Landes führen. Indes hatte ich mir für den 600er die ARA Urzelle Hamburg mit Frühstart um 7h ausgesucht (im Unterschied zu Kiel, wo um 21h gestartet wird).
Die Vorfreude war durchmischt mit Nervosität, denn die Messlatte lag bei der Tagestour von 400 km schon hoch genug, alles darüber ist Neuland, Spekulation, Abenteuer. Da ich ohnehin nicht schlafen konnte, fuhr ich zeitig los und stand eine Stunde vor Start auf dem Platz der angegebenen Schule. Weit und breit kein Mensch, auch um halb noch nicht. Das Schicksal hatte für mich entschieden, es sollte eben nicht sein, bis da plötzlich ein Radler um die Ecke bog. Die Anmeldung war auf dem hinteren Platz, wo mich die Frau von Claus Czycholl empfing, der allein den 600er schon 21x gefahren ist. Ich outete mich verschämt als Neuling auf der Strecke und fühlte mich nicht gerade wie ein Athlet. Ob ich denn überhaupt schon mal… Sie sprach nicht zu Ende und zauberte aus dem Schreibtisch ein Formblatt hervor, das ich blindlings unterschrieb. Danach erhielt ich die Wegbeschreibung, die einen übersichtlichen, lesbaren Eindruck machte. Nach kurzem Studium war ich erleichtert, nicht den Brocken im Harz besteigen zu müssen, sondern auf einer großen Acht in heimischen Gefilden bleiben zu können mit den Eckpunkten, Clenze im Süden, Hagenow im Osten, Hohwacht im Norden. Die Entfernung erscheint geringer, als etwa eine Strecke von Hamburg nach Nürnberg fahren zu müssen.
Punkt 7 gingen 13 verwegene Burschen bei strahlender Sonne auf die Strecke mit Hitzacker nach 102 km als erstem Etappenziel. Da waren es nur noch 8, Ludger und Thorsten setzten sich nach vorne ab, 3 Recken waren verlustig und fortan nicht mehr gesichtet. Sollte ich in diesem Tempo weiterfahren, würde ich in 20 h - der Hälfte des Zeitlimits von 40 h - im Ziel sein. Also kürzer treten, das sollte mir nicht schwerfallen, die Gruppe ziehen lassen, meine Strategie war jetzt nur jeweils auf die Einzelstrecken zwischen den 12 Kontrollpunkten gerichtet. Diese waren klug gewählt, Tankstellen, mal eine Bäckerei, zu Mittag ein Restaurant, zu Abend ein Gasthof, mitten in der Nacht ein Nobelhotel, morgens wieder eines mit Frühstück ab 5:45 und schließlich in Hamburg ein Hotel zur Abgabe der Stempelkarte, überall herzlicher Empfang, der es schwer machte, ohne oder mit nur kurzer Pause weiterzuziehen.
Obwohl mir der ewige Wind zu schaffen machte, kam ich irgendwie vorwärts und stieß nach 300 km in Ratzeburg auf Ekki und Bernd, der meinte, den Weg nach Zarpen zu kennen. So wurden aus 40 km gefühlte 80 km. Im Eckkrug trafen wir auf die Mannen des Hauptfeldes. Angesichts der erbrachten und bevorstehenden Leistung wurde ordentlich gebechert und getafelt mit Soljanka-Suppe als russischer Spezialität des Hauses - als vegetarisch angepriesen, aber so viel Wurst und Fleisch habe ich selten in einer Suppe gesehen, dazu bekamen wir jeder noch ein Proviantpäckchen mit auf die Reise. Das alles gefiel mir, so lässt sich eine Tour meistern. Zu dritt ging es hinaus in die trügerische nächtliche Stille – es war genauso windig wie unter Tage - über Eutin, Lensahn nach Hohwacht. Dort zeigten die Randonneure ihr eigentümliches Wesen, der eine wollte sofort weiter, nach Hause, er hätte auch noch was anderes zu tun als nur Radfahren – der andere eine Gartenlaube zum Meditieren suchen, ich mochte mich gern eine Weile in dem warmen Foyer des Hotels aufhalten, war allerdings überhaupt nicht müde und zog nach einer Stunde alleine weiter. Nun spürte ich die Einsamkeit des Langstreckenfahrers, traurig war ich aber nicht, denn vorher waren wir nur mit großen Lücken und nicht wirklich kräftesparend zusammengefahren. 422 km lagen hinter mir, so vermessen mein Start gewesen ist, so wahrscheinlich wurde jetzt das Ziel. Dennoch sei Demut angezeigt, Wetter, Defekte oder Sturz können den Spaßfaktor rapide sinken lassen, dagegen der Weg mit einer gehörigen Portion Glück unbeschwert ins Ziel führt. Brevet wird mit Prüfung übersetzt, da wird Gottlob nicht immer alles geprüft. Glück hatte ich auch, als ich nach einigen Irrwegen – u.a. war ich Pfeilen der RTF von RV Trave nachgefahren - Ekki in HH-Altengamme wiedertraf, der sich auf den letzten 36 km bis ins Ziel sicher auskannte. Hamburg zeigt sich hier eher als Flächenstaat mit tausenden von Gewächshäusern in den Vierlanden, Holland lässt grüßen, natürlich mit Gegenwind, die km zählen gefühlt nicht schneller als beim bikeschieben.
Nach gut 600 km und 31 Stunden bin ich im Ziel, damit ist erst mal das Ende der Fahnenstange erreicht, kein Baum wächst in den Himmel. Super-Randonneur ist doch schon was, für ein Super-Brevet von 1.200 km reicht die Erfahrung und Leidensfähigkeit noch nicht aus – oder doch?
"Je länger die Strecke, desto unbedeutender die Zeit, da allein die Bewältigung der Strecke zu einer eigenen Leistung wird..."
Die Vorfreude war durchmischt mit Nervosität, denn die Messlatte lag bei der Tagestour von 400 km schon hoch genug, alles darüber ist Neuland, Spekulation, Abenteuer. Da ich ohnehin nicht schlafen konnte, fuhr ich zeitig los und stand eine Stunde vor Start auf dem Platz der angegebenen Schule. Weit und breit kein Mensch, auch um halb noch nicht. Das Schicksal hatte für mich entschieden, es sollte eben nicht sein, bis da plötzlich ein Radler um die Ecke bog. Die Anmeldung war auf dem hinteren Platz, wo mich die Frau von Claus Czycholl empfing, der allein den 600er schon 21x gefahren ist. Ich outete mich verschämt als Neuling auf der Strecke und fühlte mich nicht gerade wie ein Athlet. Ob ich denn überhaupt schon mal… Sie sprach nicht zu Ende und zauberte aus dem Schreibtisch ein Formblatt hervor, das ich blindlings unterschrieb. Danach erhielt ich die Wegbeschreibung, die einen übersichtlichen, lesbaren Eindruck machte. Nach kurzem Studium war ich erleichtert, nicht den Brocken im Harz besteigen zu müssen, sondern auf einer großen Acht in heimischen Gefilden bleiben zu können mit den Eckpunkten, Clenze im Süden, Hagenow im Osten, Hohwacht im Norden. Die Entfernung erscheint geringer, als etwa eine Strecke von Hamburg nach Nürnberg fahren zu müssen.
Punkt 7 gingen 13 verwegene Burschen bei strahlender Sonne auf die Strecke mit Hitzacker nach 102 km als erstem Etappenziel. Da waren es nur noch 8, Ludger und Thorsten setzten sich nach vorne ab, 3 Recken waren verlustig und fortan nicht mehr gesichtet. Sollte ich in diesem Tempo weiterfahren, würde ich in 20 h - der Hälfte des Zeitlimits von 40 h - im Ziel sein. Also kürzer treten, das sollte mir nicht schwerfallen, die Gruppe ziehen lassen, meine Strategie war jetzt nur jeweils auf die Einzelstrecken zwischen den 12 Kontrollpunkten gerichtet. Diese waren klug gewählt, Tankstellen, mal eine Bäckerei, zu Mittag ein Restaurant, zu Abend ein Gasthof, mitten in der Nacht ein Nobelhotel, morgens wieder eines mit Frühstück ab 5:45 und schließlich in Hamburg ein Hotel zur Abgabe der Stempelkarte, überall herzlicher Empfang, der es schwer machte, ohne oder mit nur kurzer Pause weiterzuziehen.
Obwohl mir der ewige Wind zu schaffen machte, kam ich irgendwie vorwärts und stieß nach 300 km in Ratzeburg auf Ekki und Bernd, der meinte, den Weg nach Zarpen zu kennen. So wurden aus 40 km gefühlte 80 km. Im Eckkrug trafen wir auf die Mannen des Hauptfeldes. Angesichts der erbrachten und bevorstehenden Leistung wurde ordentlich gebechert und getafelt mit Soljanka-Suppe als russischer Spezialität des Hauses - als vegetarisch angepriesen, aber so viel Wurst und Fleisch habe ich selten in einer Suppe gesehen, dazu bekamen wir jeder noch ein Proviantpäckchen mit auf die Reise. Das alles gefiel mir, so lässt sich eine Tour meistern. Zu dritt ging es hinaus in die trügerische nächtliche Stille – es war genauso windig wie unter Tage - über Eutin, Lensahn nach Hohwacht. Dort zeigten die Randonneure ihr eigentümliches Wesen, der eine wollte sofort weiter, nach Hause, er hätte auch noch was anderes zu tun als nur Radfahren – der andere eine Gartenlaube zum Meditieren suchen, ich mochte mich gern eine Weile in dem warmen Foyer des Hotels aufhalten, war allerdings überhaupt nicht müde und zog nach einer Stunde alleine weiter. Nun spürte ich die Einsamkeit des Langstreckenfahrers, traurig war ich aber nicht, denn vorher waren wir nur mit großen Lücken und nicht wirklich kräftesparend zusammengefahren. 422 km lagen hinter mir, so vermessen mein Start gewesen ist, so wahrscheinlich wurde jetzt das Ziel. Dennoch sei Demut angezeigt, Wetter, Defekte oder Sturz können den Spaßfaktor rapide sinken lassen, dagegen der Weg mit einer gehörigen Portion Glück unbeschwert ins Ziel führt. Brevet wird mit Prüfung übersetzt, da wird Gottlob nicht immer alles geprüft. Glück hatte ich auch, als ich nach einigen Irrwegen – u.a. war ich Pfeilen der RTF von RV Trave nachgefahren - Ekki in HH-Altengamme wiedertraf, der sich auf den letzten 36 km bis ins Ziel sicher auskannte. Hamburg zeigt sich hier eher als Flächenstaat mit tausenden von Gewächshäusern in den Vierlanden, Holland lässt grüßen, natürlich mit Gegenwind, die km zählen gefühlt nicht schneller als beim bikeschieben.
Nach gut 600 km und 31 Stunden bin ich im Ziel, damit ist erst mal das Ende der Fahnenstange erreicht, kein Baum wächst in den Himmel. Super-Randonneur ist doch schon was, für ein Super-Brevet von 1.200 km reicht die Erfahrung und Leidensfähigkeit noch nicht aus – oder doch?
"Je länger die Strecke, desto unbedeutender die Zeit, da allein die Bewältigung der Strecke zu einer eigenen Leistung wird..."